Am Mittwoch, 16.10.2019, verbrachte der Neigungskurs Geschichte KS2/Wa einen ganzen Tag in dem außerschulischen Lernort des Bundesarchivs. Hier besuchten wir die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“, welche anlässlich des Ulmer Einsatzgruppenprozesses 1958 gegründet worden ist. In Ludwigsburg befinden sich 1,2 km laufende Regalmeter als Akten zu NS-Gewaltverbrechen; 12 Staatsanwälte, Richter, Polizeikommissare und Archivare führen hier Vorermittlungen für Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland durch.

Die Schüler*innen (Sandra, Binki, Yannick, Nike, Dorka, Denis, Jonas) beschäftigten sich mit dem Ablauf eines Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens am Beispiel Wilhelm Bogers. Die Taten Bogers wurden tatsächlich im Frankfurter Auschwitzprozess 1963-65 verhandelt. Oberfeldwebel Boger befand sich von 1942 bis 1945 als Mitglied der Politischen Abteilung im KL Auschwitz und vernahm Häftlinge. Die Häftlinge wurden geschlagen, gefoltert und misshandelt, bis der Tod des betroffenen Häftlings eintrat.

Zu Beginn unseres Besuchs wurden Elemente der Rechtstaatlichkeit (Legalitätsprinzip) und die Arbeit der Zentralen Stelle vorgestellt. Auch mussten Definitionen für Mord (niedere Beweggründe wie etwa Rassismus), Totschlag, schwere Körperverletzung mit Todesfolge oder die Funktion des Militärstrafgesetzbuch Paragraf 47 („Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetze allein verantwortlich.“) erarbeitet werden.

In Gruppenarbeit mussten sich im Folgenden alle Teilnehmer mittels Akten des Prozesses (Recherche und Archivarbeit; in Zitatzeichen die Aussagen der Schüler*innen) mit der Verfahrenseröffnung (Folter durch die sog. „Bogerschaukel“), der Biografie Bogers („gefühllos und unbarmherzig“), Belastungs- („Boger war wegen seiner Methoden bei den Vernehmungen berüchtigt“) und Entlastungszeugen („Vernehmungen im rechtlichen Maße auf Anordnungen hin“), Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen („Wem glaubt man mehr: dem Angeklagten oder der Zeugin des Apfelvorfalls? Hier ist zu sagen, dass der Frau Wasserström zu glauben ist, da Boger im Laufe des Verfahrens bereits gelogen hat.“) und dem Urteil („Körperverletzung ist verjährt“; „Mord aus niederen Beweggründen: Abneigung gegen Polen“; „er war sich der Gesetzlage bewusst und voll zurechnungsfähig“) beschäftigen.

Nach der Rekonstruktion wird das Strafmaß verkündet. Die Schüler*innen plädieren auf schuldig und schlagen als Strafmaß „lebenslang“ vor.

Übrigens: Boger erhielt im Frankfurter Ausschwitzprozess aufgrund hundertfachen Mordes die Strafe von 114x Lebenslänglich; er starb 1970 im Gefängnis Hohenasperg.