Schicksal Ronny Ziesmer war ein so guter Turner, dass er sich für Olympia qualifiziert hat. Jetzt sitzt er im Rollstuhl – und erzählte in Heidenheim von neuen Zielen.

Mit einer beigen Kapuzen-Jacke und schwarzen Bandagen an den Handgelenken sitzt er da. Im Rollstuhl. Fast 600 Kilometer hat er alleine mit dem Auto von Cottbus hierher zurückgelegt, um als Zeitzeuge für einen Vortrag ins Max-Planck-Gymnasium zu kommen. „Manchmal muss ich schmunzeln, wenn ich Auto fahre“, sagt der 37-Jährige. Dann nämlich schwimme er einfach mit der Masse mit und keiner der anderen wisse, wie besonders diese Autofahrt für ihn ist.

Ronny Ziesmer hat im Kindergarten das Turnen angefangen. Der Anfang einer steilen Karriere, die in der Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen gipfelte. Er gehörte der Sportfördergruppe der Bundeswehr an und trainierte im Juli 2004 im brandenburgischen Kienbaum. „Ich hatte keine Angst beim Turnen, nur Respekt“, sagt er. Bei einem Doppelsalto rückwärts am Pferd schlug er mit dem Kopf auf dem Boden auf. „Nicht so günstig, eigentlich sollte man auf den Füßen landen“, erzählt er den Heidenheimer Schülern. Bei dem Aufprall gab es eine Verschiebung zwischen Rückenwirbel fünf und sechs und damit eine Quetschung. Diagnose: Querschnittlähmung, in Form einer Tetraplegie. Das heißt, Arme und Beine sind betroffen.

Zehn Monate im Krankenhaus

„Ich habe bei dem Sprung schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, erinnert sich der Sportler. Die Devise im Turnen heißt aber: Ein Element muss man immer durchziehen. Das sei ungefährlicher, als mittendrin abzubrechen. In seinem Fall leider nicht. „Das ist halt dumm gelaufen“, sagt er undramatisch. Sein ganzer Körper habe nach dem Sturz gekribbelt. Er konnte sich nicht bewegen, wollte auch nicht, dass ihn jemand bewegt: „Sonst wird es noch schlimmer“, dachte er. Mit dem Hubschrauber wurde er nach Berlin geflogen. Es folgten eine Operation, sieben Tage Intensivstation und weitere zehn Monate im Krankenhaus. Physiotherapie und Sozial-Training bestimmten seinen neuen Alltag.

Vor dem Sturz sah der ganz anders aus: Ziesmer musste 25 bis 30 Stunden pro Woche trainieren. Lediglich während seiner Anfangszeit bei der Bundeswehr, als er noch nicht in der Fördergruppe war, musste er den Sport nebenher managen. Marschieren, schießen, turnen. „Ich hatte immer das Gefühl, mit den Stiefeln an den Ringen zu hängen“, so Ziesmer.

Sein Abitur hatte der Turner bis dahin schon, Zeit für ein Studium blieb nicht. „Nach der aktiven Karriere steht man da, wo andere mit 19 sind“, vergleicht er. Nach seinem Sturz holt er nach, was er verpasst hat: Er geht studieren, Bio-Technologie. Zwischendrin bricht er es ab, weiß nicht so recht, warum er das eigentlich macht. Doch er hat weitergemacht – und nicht nur damit.

Rennrollstuhl ist sein neuer Sport

Sport ist auch noch heute sein Leben. Seine Arme kann er mittlerweile eingeschränkt bewegen, und so hat er Barren und Reck gegen ein Handbike und einen Rennrollstuhl eingetauscht. „Mit dem Handbike war ich viermal beim Berlin-Marathon dabei“, erzählt er. Seine Bestzeit: Zwei Stunden, eine Minute und 49 Sekunden. Doch ihm fehlte der mentale Anspruch. „Immer nur zu kurbeln reicht mir nicht, deshalb habe ich vom Radsport zur Leichtathletik gewechselt.“ Mit dem Rennrollstuhl ist von 100 Metern bis zum Marathon ist alles möglich. „Ich will unbedingt zu den Paralympics“, lautet sein Ziel. Jeden Tag trainiert er, nur am Wochenende ruht er sich aus. In seinem eigenen Haus mit seiner Ehefrau. „Familie und Freunde sind am wichtigsten, um wieder nach vorne zu schauen.“ Mittlerweile ist Ziesmer in seinem Haus unabhängig. Vier Jahrelang war er vom Pflegedienst genervt. „Klar geht einkaufen und sauber machen auch jetzt nicht“, sagt er. Zwar könnte er einen Quadratmeter saugen, aber das würde wohl Stunden dauern, scherzt er. Seine Finger kann Ziesmer nicht bewegen, er schwitzt nicht mehr, und die Sensorik ist von der Brust abwärts geschädigt. „Wenn mich jemand berührt, fühlt sich das wie eine Feder auf meiner Haut an.“ Ziesmer weiß, dass sich nur in den ersten zwei, drei Jahren nach einem solchen Unfall Verbesserungen einstellen. Doch im Rahmen seiner Stiftung „Allianz der Hoffnung“ forscht er für sich und andere weiter. Was er im Turnsport gelernt hat, merkt man ihm auch heute noch an: „Die Lebenseinstellung muss einfach stimmen.“

Anmerkung zum Foto: Als Zeitzeuge sprach der ehemalige Turner Ronny Ziesmer am Max-Planck-Gymnasium über sein Leben im Rollstuhl. Foto: Markus Brandhuber. Aus: Heidenheimer Zeitung vom 23. Februar 2017, S.21.