Corinna Ponto war gestern als Zeitzeugin des Deutschen Herbstes zu Gast am MPG. In der Reihe „Zeitzeugen“ des Max-Planck-Gymnasiums (MPG) war gestern Corinna Ponto, Tochter des am 30. Juli 1977 von der RAF ermordeten Bankiers Jürgen Ponto, zu Gast.

„Es wird ehrlich gesagt immer schwerer, darüber zu sprechen.“ Als Corinna Ponto ihren Vortrag über die RAF und die Ermordung ihres Vaters, des damaligen Vor­standssprechers der Dresdner Bank, mit diesen Worten ankün­digte, war es mucksmäuschenstill in der vollbesetzten Aula der Schule. Die 56-Jährige hat vor zwei Jahren zusammen mit Julia Albrecht das Buch „Patentöchter: Im Schatten der RAF – ein Dialog“ veröffentlicht. Darin schildern die beiden sehr eindringlich und per­sönlich die Annäherung der Toch­ter des Opfers und der Schwester einer Mittäterin, der Terroristin Susanne Albrecht. Auf diese im Buch geschilderte Geschichte der auch schon vor dem Attentat eng befreundeten Familien Ponto und Albrecht ging Corinna Ponto im MPG aber nicht ein, sondern kon­zentrierte sich fast ausschließlich auf die heutige Rezeption der RAF-Geschichte und ihre Theorie der ungenügenden Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Ge­schichte.

Was die Schüler da in der Reihe „Zeitzeugen“, zu der engagierte Lehrer immer wieder interessante Persönlichkeiten ans MPG einla­den, zu hören bekamen, war kei­ne leichte Kost – und eigentlich nur zu verstehen, wenn man sich mit dem „Deutschen Herbst“ und der RAF bereits ausführlich be­schäftigt hatte. Unvorbereitet war die Oberstufe des MPG jedoch nicht: Unter anderem hatten die Schüler bereits die Ausstellung „RAF – Terror im Südwesten“ im Stuttgarter Haus der Geschichte Baden-Württemberg besucht und sich mit Pontos Buch beschäftigt.

Die Schwierigkeit, über die Ge­schehnisse um die Ermordung ihres Vaters zu sprechen, resul­tiert laut Corinna Ponto aus der Hoffnungslosigkeit, die für sie da­raus entsteht, dass ihrer Meinung nach die historische Wahrheit über die Taten der Linksterroristen noch nicht aufgeklärt sei und stattdessen Mythenbildung betrieben werde. Es handle sich nicht nur um einen Generationenkonflikt, der in den Taten der RAF seinen Ausdruck gefunden habe, sondern um eine Geheim­dienst-Geschichte: Die Spur der Morde führe zur Stasi und zu einem europäischen Netzwerk von linken Gruppen, an denen die Geheimdienste maßgeblich als Drahtzieher beteiligt waren. „Das Bild der Terroristen wird viel zu groß gezeichnet“, so Ponto, sie seien eigentlich nur Statisten und nicht die Hauptdarsteller gewe­sen.

Den Schülern nannte sie auch Namen derer, die für sie nach monatelangem Aktenstudium wichtige Figuren der terroristi­schen Szene sind: beispielsweise der Doppelagent Walter Barthel, Peter Urbach, der Waffen und Sprengstoff für die Terroristen or­ganisiert hat, oder der Anwalt Klaus Croissant, der wie seine Lebensgefährtin Brigitte Heinrich für die Stasi gearbeitet hat. „Googelt diese Namen“, forderte Ponto die jugendlichen Zuhörer auf, es stehe Vieles im Netz, sei jedoch nicht miteinander verknüpft.

„Muss also in der Schule mehr aufgeklärt werden über linken Terrorismus?“, fragte folgerichtig eine Schülerin die Autorin. Diese Frage wollte Ponto nicht bejahen, sie kritisiere „die diffuse Moral zur RAF-Zeit“, man beschäftige sich ja mit diesen Themen, aber es finde Mythenbildung statt Auf­klärung statt. Nachdem Ponto auch berichtet hatte, dass viele Akten zu den RAF-Taten bis 2040 oder noch länger gesperrt seien, wollte ein Schüler wissen, warum das denn so sei. „Es soll Gras darüber wachsen“, so Ponto. Die­ses Thema griff ein Lehrer der Schule nochmal auf: Es sei nun nicht neu, dass die Spuren der Terroristen auch in die DDR führten. Er wolle aber wissen, wer heute ein Interesse an der Nicht-Aufarbeitung der Taten haben solle. „Vielleicht ist das eine zu große Frage für mich. Ich kann nur feststellen, dass es so ist“, erklärte dazu Ponto. Vielleicht wolle sich die linke Bewegung nicht damit konfrontieren. Sie sei sich sicher, so sagte sie am Schluss des Vortrags noch einmal, dass die Behörden von der Stasi unterwan­dert gewesen seien, schon zu Beginn hatte sie von Ermittlungspannen bei der Aufklärung des Mordes an ihrem Vater berichtet.

Geschichtslehrer Thomas Wagner, der die Veranstaltung organi­siert hatte, lenkte noch einmal den Blick auf die persönliche Seite von Corinna Pontos Geschichte: Er fragte sie, was die Kontakt­aufnahme von Julia Albrecht bei ihr ausgelöst habe. „Ein Deckel, der auf allem lag, sprang plötzlich auf“, so Ponto. Lange Zeit habe sie sich nicht mit den Ereignissen, bei denen sie 20 Jahre alt war, beschäftigt.

Julia Albrecht habe den richti­gen Ton getroffen, und heute fühlten sich die beiden Frauen eng verbunden. Jedoch führen die Lesungen und Veranstaltungen, mit denen sie nun auch aufhören wolle, immer an die Grenzen des Wissens. „Wir Angehörigen der Opfer werden entweder als traumatisiert oder als Verschwörungstheoretiker dargestellt“, meinte Corinna Ponto.