Der vereinbarte Treffpunkt war doch recht unwürdig für einen alten Herrn. Ulm Hauptbahnhof. Verdreckt. Windig. Laut. Max Mannheimer, damals 90-jährig, stand mit seinem Rollkoffer am Bahnhof und wartete. Er kam aus dem Allgäu von einem Zeitzeugengespräch und und sollte nun nach Heidenheim, um zu unseren Schülern im Rahmen der „Zeitzeugen@MPG“-Reihe über sein Leben zu sprechen. Es war ein Dienstag, 18. Mai 2010.

Max Mannheimer war einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Für die Schülerinnen und Schüler der Schulstufen 9 und 12 ist die Behandlung des Nationalsozialismus wichtiger Bestandteil des Geschichtsunterrichts. Um diese Zeit anschaulicher zu gestalten, aber auch anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau und dem Ende des Zweiten Weltkrieges, hatte sich damals die Fachschaft Geschichte entschlossen, den jüdischen Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer an das MPG einzuladen.

Die Lebensgeschichte von Max Mannheimer sucht Vergleichbares. 1920 im heutigen Tschechien geboren, arbeitete er mit Abschluss der Schule in einem kleinen Kaufhaus. Nach der Besetzung des Sudetenlandes durch deutsche Truppen floh die Familie in das noch unbesetzte Ungarisch Brod, ehe auch dort die Truppen einmarschierten. Am 31. Januar 1943 wurde Mannheimer mit seinen Eltern, seinen Schwestern und seinen Brüdern deportiert – zuerst nach Theresienstadt. Max Mannheimer wurde von Auschwitz nach Warschau und folgend nach Dachau verschleppt. Auf einem Evakuierungstransport wurde er am 30. April 1945 bei Seeshaupt befreit. Der hagere Mann wog gerade noch 37 Kilogramm, war an Typhus erkrankt. Sein Bruder und er überlebten den Holocaust – seine Eltern, seine Geschwister und seine erste Frau Eva wurden ermordet.

Nach der Lazarett-Entlassung verließ Mannheimer Deutschland. Er schwor sich, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Jedoch verliebte er sich in eine Deutsche, Elfriede Eiselt, seine zweite Frau, kehrte zurück und gründete eine Familie. Um den Schmerz zu verarbeiten, fing er an zu malen. Seit 1988 war Mannheimer Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau. Mannheimer war seit 30 Jahren als Zeitzeuge unterwegs, hielt Vorträge und erzählte von der Vergangenheit. Seine aufgeschriebenen Erinnerungen sind in dem Band „Spätes Tagebuch“ erschienen und wurden als erster Band der Dachauer Hefte 1985 bekannt. Ein Film mit dem Titel „Der weiße Rabe – Max Mannheimer“ hatte 2009 Premiere.

Das und noch vieles mehr berichtete Max Mannheimer an diesem Tag den MPG-Schülern. Während seines Vortrags war es mucksmäuschenstill, er zog mit seiner Persönlichkeit die Schüler in seinen Bann. Er besaß Charme und Charisma. Am Ende seines Vortrages verschenkte er sein Buch „Spätes Tagebuch“, ausgerechnet an den MPG-Schüler Edgar Marker, der mit Vornamen so hieß wie Mannheimers überlebender Bruder. Auf der Rückfahrt im Auto Richtung Ulm sprach Mannheimer noch, wie anstrengend diese Vorträge für ihn seien, aber ungeheuer wichtig für die Jugendlichen, da diese nichts für die Vergangenheit könnten, jedoch die Zukunft bestimmten. Jeder Vortrag sei für ihn eine neue Psychotherapie.

Kurz darauf schlief Mannheimer auf dem Beifahrersitz erschöpft ein. Später wachte er auf und sprach von der Schönheit des Lebens, seinem Leben in München und der russischen Sprache. In Ulm am Hauptbahnhof verabschiedete er sich mit seinem Rollkoffer und ging zu seinem Zug.

Jetzt ist Max Mannheimer im Alter von 96 Jahren in München gestorben.

(Bildquelle: Max Mannheimer: Spätes Tagebuch, München 2009, S.6, eigenes Exemplar mit Widmung)